Grenzüberschreitend & identitätswahrend:
Sitzverlegung & Umwandlung einer Kapitalgesellschaft

Der identitätswahrende, vollständige Umzug einer Kapitalgesellschaft in ein anderes Land bei gleichzeitigem Formwechsel ist nicht alltäglich. Und doch ist es in der Praxis für manche Unternehmen interessant. So kann die sogenannte „grenzüberschreitende Sitzverlegung“ insbesondere bei konzerninternen Umstrukturierungen von Vorteil sein, ganz ohne Umweg über eine grenzüberschreitende Verschmelzung auf einen bestehenden oder neugegründeten Rechtsträger im „Zielland“. Die egev beschreibt hierzu folgenden Fall aus der eigenen Praxis.

Praktisch durchführbar: grenzüberschreitende und identitätswahrende Sitzverlegung und Umwandlung einer Kapitalgesellschaft von Luxemburg nach Deutschland

Unser Mandant, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach luxemburgischen Recht (Société à responsabilité limitée, „S.à r.l.“) mit statutarischem Sitz in Luxemburg, beschloss eine grenzüberschreitende Sitzverlegung nach Deutschland. Diese Sitzverlegung sollte identitätswahrend und unter gleichzeitiger Unterstellung des Rechtsträgers unter die Bestimmungen des deutschen GmbH-Rechts erfolgen. Demzufolge war Gegenstand des Beschlusses auch die Umwandlung der S.à r.l. in eine deutsche GmbH.

Auf den ersten Blick ein kniffliges Vorhaben. Auch auf den zweiten Blick. Und doch gelang es unter Federführung der egev – als einer der ersten Dienstleistungsgesellschaften in Hamburg ­– ein Stück Rechtsgeschichte zu schreiben.

Die grenzüberschreitende Sitzverlegung ist durch Gerichte und Behörden mittlerweile generell akzeptiert, nachdem dieser Weg mit dem sogenannten VALE-Urteil des EuGH (Europäischer Gerichthof) am 12.07.2012 (C-378/10) grundsätzlich eröffnet worden war. Dennoch ist ein grenzüberschreitender Formwechsel samt Sitzverlegung bislang nicht durch eine Rechtssetzung in Form einer EU-Richtlinie reglementiert. Zwar hat die EU-Kommission im April 2018 im Rahmen des Company Law Package eine lange erwartete „Sitzverlegungs-Richtlinie“ vorgeschlagen, welche die grenzüberschreitende Mobilität von Kapitalgesellschaften hinsichtlich Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel optimieren soll. Doch birgt dieser Richtlinienvorschlag noch jede Menge Diskussionsstoff – und es wird dauern, bis eine beschlossene Richtlinie vorliegt.

Im Fall des erwähnten VALE-Urteils des EuGH beabsichtigte eine GmbH italienischen Rechts, ihre gesamte Geschäftstätigkeit nach Ungarn zu verlagern, um als ungarische GmbH (Kft.) fortzubestehen. Nach „Verweigerung“ durch das ungarische Handelsregister und deren Verweis auf ungarische Rechtsvorschriften, stelle der EuGH klar: Zwar seien für die Gründung und Funktionsweise einer Gesellschaft die nationalen Rechtsvorschriften maßgeblich, jedoch gebiete es die EU-Niederlassungsfreiheit, nationale und grenzüberschreitende Sachverhalte gleich zu behandeln.

Mit einem weiteren EuGH-Urteil vom 25. Oktober 2017 Polbud, C-106/16) wurde ein weiterer Meilenstein zugunsten innereuropäischer Mobilität von Gesellschaften gesetzt. Im Vergleich zum VALE-Urteil aus 2012 wurde die Niederlassungsfreiheit noch großzügiger beurteilt und lässt sogar eine rein formale Verlegung des Satzungssitzes von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu. Zudem wurde festgehalten, dass „umziehende“ Gesellschaften nicht nach innerstaatlichem Recht zur Liquidation verpflichtet werden dürfen.

Nicht unmöglich – doch es bleibt komplex

Trotz richtungsweisenden EuGH Gerichtsbeschlüssen aus 2012 und 2017 bleibt der Weg einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung – im Vergleich zum inländischen Formwechsel – weiterhin komplex. Hintergrund: Der aufnehmende Mitgliedsstaat (in unserem Fall Deutschland) ist befugt, die für einen solchen Umwandlungsvorgang maßgeblichen innerstaatlichen Voraussetzungen und Regelungen zu bestimmen und gegenüber den Parteien des grenzüberschreitenden Umwandlungsvorgangs zur Anwendung zu bringen, etwa gläubigerschützende Vorschriften. Ein Balance-Akt, denn eine Ungleichbehandlung in- und ausländischer Gesellschaften – z.B. durch eine unzureichende Berücksichtigung von behördlichen Dokumenten aus dem Herkunftsmitgliedstaat – widerspricht der EU-Rechtsprechung.

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